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Mystik (n.)
Mystik; Mystiker[ClasseHyper.]
partisan d'une doctrine philosophique (fr)[Classe]
croyant en une religion (fr)[Classe...]
adorateur de dieux d'une religion (fr)[Classe]
mystique (fr)[CeQuiEst~]
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Der Ausdruck Mystik (von griechisch μυστικός mystikós „geheimnisvoll“) bezeichnet Berichte und Aussagen über die Erfahrung einer göttlichen oder absoluten Wirklichkeit sowie die Bemühungen um eine solche Erfahrung.
Das Thema Mystik ist Forschungsgegenstand innerhalb der Theologien der Offenbarungsreligionen und der Religionswissenschaften, in Kultur-, Geschichts- und Literaturwissenschaft, in der Philosophie und Psychologie. Allerdings kann ein übergreifender fachwissenschaftlicher Konsens zur Begriffsbestimmung bisher nicht festgestellt werden.
Im alltäglichen Sprachgebrauch sowie in populärer Literatur steht das Thema Mystik meist in Beziehung zu religiösen oder spirituellen Erfahrungen, die als solche nicht objektiv zugänglich scheinen. Die Literatur, in welcher der Ausdruck Mystik in unterschiedlichem Sinne verwendet wird, ist vielfältig. Trotz aller Unklarheiten lassen sich Merkmale angeben, die zumeist für typisch gehalten werden. Auch ist für mehrere Personen unstrittig, dass diese weithin als Mystiker gelten.
Inhaltsverzeichnis |
Religionsgeschichtlich versteht man unter Mystik eine Form religiösen und damit auf „ein Absolutes“ ausgerichteten Erlebens und sprachlichen Ausdrucks. Mystische Erfahrungen werden unter Verwendung kontextspezifischer Begriffe, Bilder und Formulierungen ausgedrückt.
In theistischen Religionen ist mystische Erfahrung auf Gott bezogen. Strömungen des Judentums, des Christentums, des Islams und des Hinduismus kennen als Gotteserfahrung mitgeteilte mystische Erlebnisse. Sie finden in unterschiedlichen Begriffen und Wendungen Ausdruck, die oftmals auch in Grundschriften dieser Religionen Verwendung finden: Nacht, Dunkelheit, Feuer (Mose), „sanftes, leises Säuseln“ (1 Kön 19,12), Liebe (Johannesbriefe), göttliches Du, Gott als innerstes Innen (bei Augustinus), göttliche Mutter (Ramakrishna).
Nichttheistische Traditionen wie Buddhismus, Jainismus und Daoismus setzen mystische Erfahrungen mit einer letztendlichen Wirklichkeit ohne Bezug auf eine göttliche Wesenheit in Beziehung.
Der deutsche Ausdruck Mystik, der in seiner substantivischen Form erst im 17. Jahrhundert entsteht, geht zurück auf das altgriechische μυστικός (mystikós) geheimnisvoll, welches sich auf das griech. Substantiv μυστήριον (mysterion) – lat. mysterium (Geheimnis, aber auch Geheimlehre oder -kult) bezieht. In diesem Zusammenhang steht auch das griech. Verb μυέειν (myéein), was einweihen, beginnen oder initiiert werden bedeutet. Das Stammwort ist aber im griech. „μύειν“ (myein) zu sehen, was „sich schließen, zusammen gehen“ heißt, insbesondere der Lippen und der Augen (in diesem Zusammenhang also Schweigen und Abweisung der Neugier). Es kann auch "mit dem deutschen Wort 'blinzeln' wiedergegeben werden. Und ursprünglich mag mit diesem 'Blinzeln' das Zusammenkneifen der Augen gemeint sein, wenn sie in Dunkelheit einen schwach glänzenden Gegenstand zu erkennen suchen in nächtlichen Einweihungszeremonien, so in Eleusis bei den 'Mysterien'."[1]
Der Ausdruck Mysterium wurde anfangs nur auf die Geheimlehre und den Geheimkult selbst bezogen und später auch generell im Sinne von etwas Dunklem und Geheimnisvollem verwendet (siehe dazu auch franz. mystérieux – dt. mysteriös). Im Neuen Testament bezieht sich der Ausdruck Mysterium auf den verborgenen göttlichen Heilsplan, den Gott in Menschwerdung, Tod und Auferstehung seines Sohnes erfüllt und offenbart hat (1 Kor 2,7; Eph 1,9-11; 3,4-9; 5,32f; Kol 1,26f). Weil dieses Mysterium schon im 'inneren' oder 'mystischen' Sinn des Alten Testaments vorausgebildet ist, kommt es zur Ausbildung einer mystischen Schriftauslegung, so schon in den Evangelien (vgl. bes. Lk 24,31f.44-47) und bei Paulus (vgl. 1 Kor 10,4; 2 Kor 3,6-18), dann vor allem bei Origenes, Ambrosius und Augustinus. Das lat. sacramentum nimmt den griechischen Begriff Mysterium wieder auf, woraus sich dann die drei christlichen Sakramente der rituellen Einweihung (Initiation) herausbilden: Taufe, Firmung (Myronsalbung) und Eucharistie. Der klassische Ort der Taufe ist die Feier der Osternacht.
Auch mystisch-esoterische Geheimlehren konnten nicht auf eigene Initiative erfahren werden, sondern bedurften immer der rituellen Einweihung durch einen Führer oder Priester. Dieser hieß Mystagoge (von griech agogein = führen, leiten).[2] In der Spätantike findet der Ausdruck auch im philosophischen Kontext Verwendung, wenn der verborgene Sinn einer Äußerung angesprochen ist, und wird insbesondere von Proklos auf den Bereich des Göttlichen bezogen.[3]
Im Mittelalter lebt die mystische Gottsuche vor allem in den Klöstern. Höchstes Ziel des monastisch-mystischen Strebens bleibt die persönliche Gotteserfahrung in der unio mystika, der mystischen Vereinigung mit Gott, im weiteren Sinn die Suche nach einem „Bewusstsein der unmittelbaren Gegenwart Gottes“ (Bernard McGinn). Die mystisch-geistliche Schriftauslegung bleibt dabei selbstverständliche Voraussetzung der Suche nach der Gottesnähe, so insbesondere die Auslegung des Hoheliedes der Liebe (etwa durch Bernhard von Clairvaux).
In der Zeit der Reformation wird in der protestantischen Theologie der vierfache Schriftsinn weitgehend auf den Literalsinn eingeschränkt. Im katholischen Raum kann sich die spanische Mystik (Ignatius von Loyola, Teresa von Avila, Johannes vom Kreuz) entwickeln. Im 17. Jahrhundert bildet sich die substantivische Verwendung des Begriffs heraus im Sinne einer spezifischen Variante religiöser Praxis und einer spezifischen Sorte religiöser Literatur: Es wird nicht mehr von „mystischer Theologie“ als einem konstitutiven Bestandteil religiösen Denkens gesprochen, sondern von „Mystik“ als einem Typus außergewöhnlicher Verfahren, so der Mystikforscher Michel de Certeau. Ähnlich wie hin und wieder Mystik selbst bezeichnen davon abgeleitete Wörter wie Mystizismus und mystisch in der heutigen Umgangssprache auch als 'unverständlich', 'rätselhaft' oder 'irrational' empfundene Redeweisen.
Die mystische Auslegung der Heiligen Schrift zielt auf die Erkenntnis des inneren, verborgenen oder mystischen Sinns der göttlichen Offenbarung. Von großer Bedeutung für Texte mystischer Literatur werden biblische Motive wie die Reinheit des Herzens in der Seligpreisung der Bergpredigt: „Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen“ (Mt 5,8), oder das Einwohnen Gottes bzw. Christi im Herzen (Eph 3,17; Gal 2,20; Joh 14,15-23). Solche Motive finden sich sowohl bei östlichen wie bei den westlichen Kirchenvätern[4] wie auch in späteren Texten der Mystik.[5] Das „Gott schauen“ noch zu Lebzeiten kann als das klassische mystische Motiv schlechthin angesehen werden.
Mittelalter: Im Anschluss an Paulus verbanden bereits frühe christliche Theologen wie Augustinus die Lehre von der Kirche mit der Eucharistie und damit dem Leib Christi. Daran knüpfte Thomas von Aquin an: die Kirche sei der mystische Leib Christi.[6] Dies war nicht selbstverständlich, denn zumeist wurde der Ausdruck „mystischer Leib“ direkt auf die Eucharistie bezogen, und erst von daher die Kirche als wahrer Leib Christi verstanden.[7] Im Anschluss an Augustinus bestimmte die katholische Glaubensenzyklika Mystici corporis von Pius XII. (1943), der mystische Leib Christi und die Römisch-katholische Kirche seien „ein und dasselbe“.
Ansatzpunkte für den interreligiösen Dialog: Zahlreiche Autoren haben im Kontext der Mystik naheliegende Ansatzstellen für einen interreligiösen Dialog gesehen – insbesondere mit dem Buddhismus. Daisetz T. Suzuki beispielsweise zeigte sich bereits in den 1950er Jahren von Meister Eckhart sehr beeindruckt.
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Nach hinduistischen Lehren ist eine Einheitserfahrung mit dem göttlichen Brahman möglich. Das ist in Worten kaum wiederzugeben, da Begriffe es nicht fassen. Typische Beschreibungen bedienen sich Metaphern wie: das Bewusstsein weitet sich ins Unendliche, ist ohne Grenzen, man erfährt sich aufgehoben in einer Wirklichkeit unaussprechlichen Lichts und unaussprechlicher Einheit (Brahman). Dieser Einheitserfahrung entspricht die Lehre der Einheit von Atman (Seele) und göttlichem Brahman.
Das Einssein fassen verschiedene Vertreter unterschiedlich auf:
Nach hinduistischer Lehre ist die alltägliche Wahrnehmung auf vieles gerichtet, die mystische Erfahrung aber eine Einheitserfahrung. Das göttliche Eine ist in allem gegenwärtig, jedoch nicht einfachhin erfahrbar. Es zu erfahren setzt voraus, die Wahrnehmungsart zu ändern. Dazu dienen Konzentrationstechniken des Yoga, Meditation und die Askese als Enthaltung und Verzicht. Askese führt zur Freiheit gegenüber weltlichen Bedürfnissen. Dies kann Essen und Trinken, Sexualität oder Machtstreben einschränken.
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In der buddhistischen Mystik, die insbesondere in den Strömungen des Mahayana verbreitet ist, geht es wie in allen buddhistischen Schulen nicht um direkte Erfahrung eines göttlichen Wesens. Die Natur des Geistes wird als nicht-dual verstanden. Dies ist jedoch in der Regel nicht bewusst und wird durch das Anhaften am Ich verschleiert. Aus dieser grundlegenden Unwissenheit entsteht die Vorstellung eines unabhängig von anderen Phänomenen existierenden Ichs. Damit geht das Auftreten der Geistesgifte Verwirrung/Unwissenheit, Hass, Gier, Neid und Stolz einher, die Ursachen allen Leidens. Ziel ist es, die Geistesgifte in ursprüngliche Weisheit umzuwandeln, die Ich-Vorstellung aufzulösen und die den unerleuchteten Wesen eigene Aufspaltung der Phänomene in Subjekt und Objekt zu überwinden. Die den fühlenden Wesen innewohnende, bis dahin verschleierte Buddha-Natur wird als immer schon zugrunde liegend erkannt. Wer dies erreicht, wird erleuchtet oder schlicht Buddha genannt. Praktiken wie Meditation, Gebet, Opferdarbringungen, verschiedene Yogas und spezielle tantrische Techniken sollen dies ermöglichen.
Die in China entstandene Philosophie und Religion des Daoismus besitzt in ihren verschiedenen Formen eine spezifische Mystik. Schon die ältesten Texte, die sich mit dem Dao, dem Urgrund des Daseins, befassen, das Daodejing und Zhuangzi, beschäftigen sich mit der Idee des Erlangens des Ureinen und der mystischen Innenschau sowie einer bestimmten geistigen Haltung, die den daoistischen Mystiker auszeichnet. Die ab dem 2. Jahrhundert entstandene daoistische Religion hatte dann in ihren verschiedenen Schulen einen ausgeprägten Hang zu mystischen Formen von Ritual und Magie, Meditation und Innenschau, basierend auf komplexen Annahmen über die Natur des Dao und des daraus entstandenen Kosmos.
Wichtige Vertreter der islamischen Mystik sind Yunus Emre und Dschalal ad-Din ar-Rumi. Im Islam gibt es in Orden organisierte Strömungen, die als (sufiyya) bezeichnet werden – ein Ausdruck, der mit dem Ausdruck tasawwuf in Verbindung steht. Beide Ausdrücke werden bisweilen mit „Mystik“ wiedergeben, weil es in diesem institutionellen Kontext ähnliche Lehren und Praktiken gibt, wie sie im westlichen Kulturraum oft mit dem Terminus „Mystik“ verbunden werden.
Nach einer Überlieferung (Hadith) des Propheten Mohammed sagt Gott den Menschen: „Es gibt siebzig [oder siebenhundert oder siebentausend] Schleier zwischen euch und Mir, aber keinen zwischen Mir und euch.“ Dieser – in unterschiedlichem Wortlaut überlieferte – Ausspruch wird von Al-Ghazali[8] und Ibn Arabi rezipiert. Letzterer bezieht die Schleier auf die Erscheinungen Gottes (tajalliyat).[9]
Einige Vertreter des Sufismus lehren, dass Gott in jeden Menschen einen göttlichen Funken gelegt hat, der im tiefsten Herzen verborgen ist. Diesen Funken verschleiert die Liebe zu allem, was nicht Gott ist – etwa ein Wichtignehmen der materiellen Welt, Achtlosigkeit und Vergesslichkeit (Nafs). Die Sufis praktizieren eine tägliche Übung namens Dhikr, was Gedenken (also Gedenken an Gott oder Dhikrullah) bedeutet. Dabei rezitieren sie bestimmte Stellen aus dem Koran und wiederholen eine bestimmte Anzahl der neunundneunzig Attribute Gottes. Darüber hinaus kennen die meisten sufischen Orden (Tariqas) ein wöchentliches Zusammentreffen in sogenannten Tekkes, bei dem neben der Pflege der Gemeinschaft und dem gemeinsamen Gebet ebenfalls ein Dhikr ausgeführt wird. Je nach Orden kann dieser Dhikr auch Musik, bestimmte Körperbewegungen und Atmungsübungen beinhalten.
Im Judentum hat die Mystik besonders in der Kabbala eine breite Tradition. Der jüdische Religionsphilosoph, Theologe und Mystiker Abraham Joshua Heschel (1907–1972), vor seiner Emigration in die USA kurzzeitig Nachfolger von Martin Buber am Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt am Main, beklagte in seinem Aufsatz Der einzelne Jude und seine Pflichten (1957), dass in der jüdischen Tradition der Geist diskreditiert worden sei: „Alle wissen, dass Judentum eine ‚Last‘ ist. Wer aber weiß noch, dass es auch ‚Freude im Geist und das Paradies der Seele‘ ist, dass ‚der Sabbat ein Vorgeschmack der kommenden Welt‘ ist? […] Wir haben versagt, weil es uns nicht gelungen ist, das Unwägbare zu vermitteln, die Augen des Herzens zu öffnen, das Licht der Tora aus seiner Umhüllung zu befreien. Wir haben das Auge nicht gepflegt … Wir, die Lehrenden, haben wenig Glauben. Wir umgehen die Probleme, wir dringen nicht ins Zentrum.“[10]
Die Befreiung des göttlichen Urlichts aus der ‚Umhüllung’ der Buchstaben (vgl. 2 Kor 3,14f) ist das zentrale Anliegen der Kabbala. Nach der kabbalistischen Überlieferung gibt es eine enge Beziehung zwischen der Wiederherstellung des Menschen in seiner ursprünglichen Geistnatur, die sich in der Gottesschau (contemplatio) erfüllt, und der Wiederherstellung der Bibel als Wort Gottes in seinem ursprünglichen (oder messianischen) Verständnis. Mit dem Kommen des Messias wird der ursprünglich mystische Sinn der Tora wieder enthüllt, der durch den Sündenfall verhüllt wurde, und zugleich zieht der Mensch wieder das ‚Lichtkleid’ der göttlichen Herrlichkeit an, das mit dem Fall durch ein animalisches „Tierfell“ (Gen 3,21) bzw. ein ‚Schlangengewand‘ eingetauscht wurde: In der messianischen Zeit „werden die Menschen diesen ihren materiellen Körper abwerfen, werden verklärt werden und den mystischen Körper wieder erhalten, den Adam vor dem Sündenfall hatte. Dann werden sie das Mysterium der Tora begreifen, indem ihre verborgenen Aspekte offenbar werden. Und später, wenn mit dem Ablauf des sechsten Jahrtausends (das heißt nach der eigentlichen messianischen Erlösung und zu Beginn des neuen Äons, Anm. Gershom Scholem) der Mensch in ein noch höheres geistiges Wesen verklärt werden wird, wird er noch tiefere Schichten des Mysteriums der Tora in ihrer verborgenen Wesenheit erkennen. Dann wird jedermann imstande sein, den wundersamen Inhalt der Tora und die geheime Kombination ihrer Buchstaben zu verstehen, und dadurch wird er dann auch viel vom geheimen Wesen der Welt begreifen … Denn der Grundgedanke dieser Darlegung ist, dass die Tora ein materielles Gewand angelegt hat wie der Mensch selber.“[11]
Das je tiefere Verstehen der Tora ist keine Sache des eigenen Willens oder der Willkür und Beliebigkeit, sondern Geschenk des Messias (vgl. Lk 24,32.44-47), der als „König des achten Tages“ mit der Auferstehung am ‚achten Tag’ zusammengehört.[12] Die Auferstehung als Neuschöpfung übersteigt die 7-Tage-Schöpfung und den Sabbat als 7. Tag, der in der jüdischen Sabbatmystik als Gestalt der Schechina, der Ein-wohnung der Gottesgegenwart in der Welt, und so als „Königin“ und „Braut“ verehrt wird. Die Schechina gilt als das ‚Ewig-Weibliche’, doch wird sie auch unter männlichen Namen genannt, nämlich „wenn im Status der heiligen unio das Weibliche als im Männlichen enthalten und aufgehoben betrachtet wird und dann unter dem Symbol des Männlichen selber erscheinen kann, da in diesem Stand keinerlei Scheidung zwischen ihnen mehr statthat“.[13] Wird zwischen dem Männlichen und Weiblichen unterschieden, dann wird das Männliche als die ‚obere‘ Schechina oder als ‚König‘ betrachtet, das Weibliche hingegen als die ‚untere‘ Schechina oder als ‚Königreich‘, das heißt als im corpus der Gemeinde Israel symbolisch vorgestellte Königsherrschaft Gottes in der Welt (im kabbalistischen Sephiroth-Baum die 10. Sephira Malchut). Auf diese ‚untere’ Schechina werden alle eindeutig weiblichen Symbole etwa aus der alttestamentlichen Weisheitsliteratur oder dem Hohelied der Liebe übertragen: „Nacht, Mond, Erde, Trockenes, Brachjahr, Tor – das sind nur einige der beliebtesten Bezeichnungen, unter denen von ihr gesprochen wird. Als Garten, in dem alle Pflanzungen wachsen; als Brunnen, der sich vom Quellwasser füllt, und als Meer, in das die Flüsse strömen; als Schrein und Tresor, in dem die Schätze des Lebens und alle Mysterien der Tora aufbewahrt sind, ist sie, wie in hundert ähnlichen Allegorien, als das Rezeptakel aller Potenzen dargestellt, die sich in ihr nun zu ihrer positiven Gestalt verbinden – freilich nur, wenn sie in die Schechina eintreten.“[14]
In dieselbe Richtung weisen die Aussagen des Angelus Silesius über Maria, gewissermaßen die neutestamentliche Gestalt der ‚unteren’ Schechina: „Maria wird genannt ein Thron und Gotts Gezelt,/ Eine Arche, Burg, Turm, Haus, ein Brunn, Baum, Garten, Spiegel,/ Ein Meer, ein Stern, der Mond, die Morgenröt, ein Hügel./ Wie kann sie alles sein? Sie ist eine andre Welt.“[15] Wie die ‚untere’ Schechina repräsentiert auch Maria die (vierte) Welt des Leiblichen, die mit der (ersten) Welt des Geistes ‚hochzeitlich‘ verbunden ist. Diese Analogie zeigt sich auch in den ‚Marien-Samstagen’: „Der engen Beziehung zwischen Samstag und Maria im katholischen Christentum entspricht in der jüdischen Mystik die enge Beziehung zwischen dem Sabbat und der Schechina.“[16]
Wie der Sabbat als Zeichen der Gegenwart Gottes (Ex 31,17) der Schöpfung ihre innere Sinnstruktur gibt, so fällt das Halten des Sabbats mit dem Halten der Tora als Sinnstruktur des Menschen in eins: „Wer immer den Sabbat hält, erfüllt die ganze Thora“ (Rabbi Simon ben Jochai). Ähnlich bezeichnet Joseph Ratzinger den Sabbat als „die Zusammenfassung der Thora, des Gesetzes Israels.“[17] Der Sabbat als 7. Tag aber ist schon ‚Vorgeschmack der kommenden Welt’ des jenseitigen 8. Tages der Einheit oder der Ewigkeit. Deshalb besteht das Heiligen und Segnen des Sabbats darin, dass der Mensch „das Diesseitige mit dem Jenseitigen verbindet. Und das ist der Sabbat. Die Freude des Erlebens des Ewigen hier, in dieser Welt, mit der Braut, mit dem Weiblichen, das heiligt. Man nennt die Hochzeit, wo der Mann die Frau nimmt, ‚kidduschin‘, das bedeutet ‚heiligen‘.“[18]
Das mystische ‚Erleben des Ewigen hier’ ist auch das Ziel der beschaulichen Betrachtung der Tora. Wer in das tiefere, mystische Schriftverständnis als „Geheimnis des Glaubens“ eingeweiht werden möchte, der muss darum so werben, wie ein liebender Bräutigam um seine geliebte Braut wirbt. Denn die Tora offenbart sich nach einer berühmten Parabel des Buches Zohar „nur dem, der sie liebt. Die Tora weiß, dass jener Mystiker (Chakim libba, wörtlich: der Herzensweisheit hat) täglich das Tor ihres Hauses umkreist. Was tut sie? Sie enthüllt ihm ihr Antlitz aus ihrem verborgenen Palast und winkt ihm zu und kehrt sofort an ihren Ort zurück und verbirgt sich. Alle, die dort sind, sehen es nicht und wissen es nicht, nur er allein, und sein Inneres, sein Herz und seine Seele gehen nach ihr aus. Und daher auch ist die Tora offenbar und verborgen und geht in Liebe zu ihrem Geliebten und erweckt die Liebe bei ihm. Komm und sieh, so ist der Weg der Tora.“[19]
Ein besonderer Fall ist Hoʻoponopono, ein kulturelles, psycho-spirituelles Verfahren der Hawaiier, dessen Anwendung weit über achthundert Jahre zurückreicht[20]. Es berührt die physischen, emotionalen, geistigen und spirituellen Aspekte. Als geistige Reinigung, einer Korrektur von Fehlverhalten (Sünden), ist es sowohl eine vielstufige Gebets- und Atemrunde als auch eine Philosophie und ein Lebensstil, ein mystischer Entwicklungsweg. Durch Aussprache (bis zur Beichte), gegenseitiges Bereuen und Vergeben in versöhnlicher, friedlicher Weise wird zur Konfliktlösung (einschließlich Lossprechung) beigetragen, dabei bis zur praktizierten Feindesliebe reichend. Traditionell wurde das Verfahren, bei dem alle an einem Problem beteiligten Personen anwesend waren (im Geiste auch die Ahnen), durch einen kahuna mit Heilkräften geleitet, eine Art Schamane. Die zur Mithilfe angerufenen höheren Wesen waren vorwiegend Naturgeister, aber auch ein Familiengeist, genannt 'aumakua. Moderne Formen, deren Begründerin die kahuna Morrnah Simeona war, können allein durchgeführt werden. Da bei ihr die Reinigung unter der Schirmherrschaft des Schöpfers abläuft, soll eine Befreiung des Menschen von der Unwissenheit seiner göttlichen Herkunft erreicht werden. Sowohl bei traditionellen als auch bei modernen Formen hawaiischen Ursprungs gehören Mantras nicht dazu.
Die meisten fachwissenschaftlichen Forschungsansätze analysieren Berichte über mystische Erfahrungen, psychologische Korrelate oder philosophisch-theologische Interpretationskategorien derselben. Zu den bekannteren Forschern zählen für die jeweiligen Einzelwissenschaften:
Dabei ist eine nähere Bestimmung des Mystikbegriffs sehr unterschiedlich und teilweise kontrovers. Zur Problematik trägt bei, dass das Thema Mystik unterschiedlichste Wissenschaftsdisziplinen betrifft, innerhalb welcher nochmals sehr unterschiedliche Forschungsansätze verfolgt werden können.
Weltabgewandtheit (Vermeidung von körperlichen Freuden durch Fasten, Askese und Zölibat oder den Rückzug in die Einsamkeit als Eremit) hat in vielen Religionen eine lange Tradition. Teilweise wird beansprucht, eine solche Haltung sei Vorbedingung mystischer Erfahrung. Andere Traditionen betonen die Zusammengehörigkeit von Kontemplation und aktivem Leben. Die christliche Mystik spricht in diesem Zusammenhang von „vita activa“ und „vita contemplativa“. Beide Seiten gehören etwa für Meister Eckhart stets zusammen. Teilweise wird auch ein wesentlicher Zusammenhang von Mystik und Politik beansprucht, wie er sich etwa bei Nikolaus von Flüe, Meister Eckhart, Martin Luther, Juliane von Krüdener, Mahatma Gandhi, Dag Hammarskjöld, Dalai Lama findet.
Auch Traditionen des Zen betonen, dass Spiritualität und Alltag nicht entkoppelt werden dürfen. So beschreiben etwa die Verse „Der Ochse und sein Hirte“ den Entwicklungsweg eines Zen-Schülers im alten Japan und enden mit der Rückkehr auf den Marktplatz. Auch der Zen-Meister Willigis Jäger betont: „Ein spiritueller Weg, der nicht in den Alltag führt, ist ein Irrweg.“
In der mystischen Erfahrung lassen sich Erfahrung und Erfahrenes unterscheiden. Die christliche Mystik bezeichnet die Erfahrung als Mysterium oder Unio Mystica, im buddhistischen Kulturraum wird sie etwa als Satori oder Kensho benannt, im hinduistischen Raum als Nirvikalpa Samadhi. Sie bezieht sich immer auf das Erfahrene, die höchste Wirklichkeit, die im christlichen Kulturraum mit Gott, im buddhistischen Raum etwa mit Nirwana, im hinduistischen mit Atman/Brahman bezeichnet wird. Diese höchste Wirklichkeit hat stets ihren spezifischen individuellen Hintergrund in Religion, Kultur, Wissenschaft. Aus phänomenologischer Sicht ist daher unentscheidbar, ob die in unterschiedlichen Strömungen beschriebene höchste Wirklichkeit identisch ist und gleich erlebt wird.
Die von religiösen Strömungen im Judentum und Christentum beanspruchte mystische Erfahrung wird als Glaubenserfahrung verstanden, als intensive Form der Spiritualität. Dabei ist teilweise beansprucht, das Göttliche nicht mehr personal zu erfahren. Dieses Merkmal kann zumindest religionsphänomenologisch von Prophetien abgrenzen, sofern hier Gott stets als personales Gegenüber erfahren wird.
Viele Berichte von mystischer Erfahrung betonen, dass kein Begriff und keine Aussage auch nur annähernd passen. Das Erfahrene ist, abhängig von soziokulturellen Bedingungen, vielfältig umschreibbar. Vor theistischem Hintergrund liegt der Name Gott nahe. Atheisten sprechen etwa von der wahren Natur allen Seins oder der tiefen kosmischen Einheit aller Dinge. Gleichwohl heben viele Beschreibungen die Erfahrungsweise von weltlicher Objekterkenntnis ab. Beispielsweise, da hier kein Ich einem Höheren gegenüberstehe, sondern von diesem Höheren „umfasst“ werde. Bei gleichzeitiger Nichtbenennbarkeit und dem Verlangen, von der Erfahrung dennoch nicht nur zu schweigen, bedient sich Mystik oft ungewöhnlicher Stilmittel.
Häufig werden Mystik und Rationalität einander entgegengesetzt. Eine Beurteilung des Verhältnisses ist abhängig davon, wie beide Begriffe verstanden werden. Viele mittelalterliche Autoren unterscheiden ratio (Vernunft) und intellectus (Verstand) in der Weise, dass der Intellekt als diskursives Vermögen verstanden Unterscheidungen trifft; während die Ratio höheren Ranges ist, weil auf Einheit ausgerichtet. Dass mystische Erfahrung kein Fall diskursiven Erkennens sein kann, bestreitet kein Mystiker. Eine solche Trennung der Hierarchien ermöglicht, den Anschein eines Gegensatzes aufzulösen. Oft wird für mystische Erfahrung eine höhere (nämlich absolute) Gewissheit gegenüber sonstigem für wahr gehaltenem reklamiert.
Bezieht man Rationalität auf die aristotelisch durchformte Wissenschaftskultur des Mittelalters, so stehen dieser viele Mystiker aus Kontexten mittelalterlicher Laienbewegungen fern. Auch viele Mystiker, die sich philosophisch-theologisch artikulieren, suchen Denkformen, die der aristotelischen Wissenschaftstheorie ferner stehen und stärker einem weisheitlichen Konzept des Wissens und höchsten Wissens nahestehen. Einige greifen dazu zurück auf die Konzeptionen von Augustinus, Boethius und der so genannten Schule von Chartres.
In modernen Kontexten unterscheidet sich ein Zugang zur höchsten Wahrheit durch unmittelbare individuelle Erfahrung von der Methodik neuzeitlicher Wissenschaft, da diese Verallgemeinerbarkeit und Reproduzierbarkeit beansprucht.
In ihrem wohl bekanntestem Werk, dem 1997 erschienen Buch Mystik und Widerstand, spricht sich die evangelisch-lutherische Theologin Dorothee Sölle für die Überwindung des vermeintlichen Gegensatzes von kontemplativer Transzendenzerfahrung und politisch-gesellschaftlichem Engagement aus. Sie zeigt auf, dass Persönlichkeiten wie der Sklavenbefreier und Quäker John Woolman, der ehemalige Generalsekretär der UNO Dag Hammarskjöld und der Bürgerrechtler Martin Luther King ihre Kraft zum Widerstand gegen gesellschaftliches Unrecht aus ihren mystischen Erfahrungen schöpften. Mystische Erfahrung bedeute demnach kein bewusstes Abwenden von der Welt, sondern die direkte Transzendenzerfahrung fördere gerade ein demokratisches Glaubensverständnis. Auch der in der mystischen Tradition stehende Spiritualismus Thomas Müntzers wird als ein wesentlicher Auslöser der Bauernkriege angesehen.[25]
Interesse für klassische Texte der Mystik und Kontemplation schließt jedoch unethisches politisches Handeln nicht aus. So soll Heinrich Himmler ständig eine Ausgabe der Bhagavad Gita bei sich getragen haben.[26] Auch sollen er und seine „Elite“ regelmäßig ein Ritual vollzogen haben, das sie Meditation nannten.[27]
Mystiker beschreiben ihre Erfahrungen in Redewendungen und Bildern ihres Kulturkreises. Viele betonen allerdings die Notwendigkeit, von allen Bildern zu lassen. Bekannt dafür ist in christlichen Kontexten Meister Eckhart. Halluzinationen treten im Wachzustand auf. Von mystischen Erlebnissen sind sie schwer unterscheidbar. Ob mystische Erfahrung nur eine Halluzination ist, lässt sich objektiv nicht klären. Anhand einer Reihe von Merkmalen wie Inhalten der Erfahrung, Dauer, Kommunizierbarkeit, Ausdrucksform und emotionalem Erleben versuchen einige Psychologen, Unterschiede zwischen mystischen und psychotischen Zuständen zu fassen. Als wesentlich für mystische Erfahrungen wird etwa die Umorganisation handlungsleitender Motive, Affekte, Welt- und Selbstbildvorstellungen herausgestellt. Mystische Erfahrungen werden in einem Bewusstseinszustand eigener Art erlebt, der auch als mystisches Bewusstsein bezeichnet wird. Es fällt allerdings durchaus nicht leicht, sie allein aufgrund ihrer Beschreibungen in ihrer Art immer sicher auch von Bewusstseinszuständen anderer Art zu unterscheiden – etwa von (über „Begeisterung“ deutlich hinausgehenden) enthusiastischen, fanatischen bis ekstatischen Erlebnissen verschiedener Art.[28]
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